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Hans-Joachim Lenger
Einschnitte des Technischen
Vortrag an der Universität Basel 12.6.2010
 

Der Terminus des „Einschnitts“ könnte zu Missverständnissen Anlass geben. Auf den ersten Blick nährt er die Vorstellung eines Kontinuums, das dieser Einschnitt auftrennt, eine Integrität, die von diesem Einschnitt verletzt wird. Und leicht ließe sich zeigen, wie aus dieser Unterstellung eine ganze Serie von Oppositionen hervorgeht, in der eine metaphysische Erbschaft beharrlich andauert, sofern sie vom Einen ausgeht und um das Eine kreist. Die Integrität des Heiligen, der Natur, des Sinns: stets kommt, wo sie angerufen wird, die Technik wie ein Befall von „außen“, der die Integrität des Einen in sich und von sich entfremdet. Überall bringt die Technik etwas zur Erscheinung nur, indem es die Ursprünglichkeit eines vollen Sinns von sich selbst getrennt hat. Stets wird, was technisch anwesend werden soll, vorstellig nur, indem es technisch ebenso verstellt wird. Und deshalb wird für eine Meditation des Einen alles davon abhängen, den lógos von der téchne, die Versammlung des Seins von allen Techniken zu reinigen. In ihnen wird die Fülle dieses Sinns nämlich nur angeschnitten, von seiner unverstellten Reinheit oder Präsenz getrennt, also partialisiert und partikularisiert.

Diese sich unausgesetzt wiederholende kátharsis jedenfalls kommt in der metaphysischen Tradition zur Sprache und versammelt sich hier zu einer inständigen Meditation des einen Ursprungs. Die Integrität des Seins, der Substanz, des Subjekts, des Menschen: wo immer sie einsetzt, bleibt diese Meditation des Einen aber umso mehr von einer Bewegung durchkreuzt, die sie ihrerseits unterbrochen hat, ohne dass sich diese Unterbrechung reduzieren ließe. Denn das Integre muss zur Sprache kommen, und immer bleibt die Metaphysik auf die Sprache verwiesen, die zur Sprache erst bringt. Sprache und Technik berühren sich darin, den lógos des Einen nur im Modus eines Rückzugs präsentieren zu können, in dem sich dieser lógos ebenso zuteilt wie mitteilt, im lógos der Rede darstellt wie zurückzieht. Unverkennbar ist sein Präsens insofern zugleich Einspruch gegen jede Präsenz, ist die Gegenwart sich selbst nicht einfach gegenwärtig. Zunächst ist sie in sich geteilte, mitgeteilte und zugeteilte Gegenwart. Ihre Ökonomie ist von einer Differenz gezeichnet, die sich im „Zunächst“ der Teilung und dem „Dann erst“ einer Mitteilung und Zuteilung anzeigt. Jedes Gleichmaß eines „Jetzt“, jedes nyn im aristotelischen Sinne ist in sich selbst bereits technisch eingeschnitten, unterbrochen oder geteilt.

In einem bestimmten Sinn also schreibt sich das In-Erscheinung-Treten insofern immer als téchno-lógos in die Gegenwart ein. Nicht nur ist die Sprache ihrerseits eine téchne, indem sie etwas als ein Etwas in Anwesenheit ruft. Mehr noch unterhält diese téchne des lógos eine unauflösbare Beziehung zur Zeitlichkeit und zur Zeit. Dieser téchno-lógos lässt alle Gegenwart aus einer Teilung eintreffen, die der Gegenwart umgekehrt das Privileg streitig macht, bevorzugter Ausgangspunkt eines Denkens des Technischen zu werden, und sei es im Sinn eines teleologischen Noch-Nicht. Fraglich nämlich ist, ob sich diese Teilung im Zeichen eines ungeteilten Einen, einer Substanz, einer Wesenheit im Sinne einer Präsenz wird stillstellen lassen. Und wenn nicht in erster Linie, dann doch ebenso kündigt sich hier die Frage an, ob sich der Begriff einer „Medienphilosophie“ überhaupt als haltbar erweisen wird.

Darauf beziehen sich im folgenden einige Überlegungen, die der begrenzten Zeit wegen sporadisch oder thetisch bleiben müssen und deshalb in fünf Fragmente gefasst werden sollen.

 

1. Mit-Teilung

„Mitteilung“, so heißt es in § 34 von Sein und Zeit, „ist nie so etwas wie ein Transport von Erlebnissen, zum Beispiel Meinungen und Wünschen aus dem Inneren des einen Subjekts in das Innere des anderen. Mitdasein ist wesenhaft schon offenbar in der Mitbefindlichkeit und im Mitverstehen. Das Mitsein wird in der Rede ‚ausdrücklich’ geteilt, das heißt es ist schon, nur ungeteilt als nicht ergriffenes und zugeeignetes.“ (1) Insofern zeichnet sich im techno-logischen Einschnitt der Rede eine doppelte Teilung ab. Zunächst steigt der Ausdruck nicht als Bedeutung aus einem Innen auf, um sodann ins Innen eines anderen „transportiert“ zu werden. Zunächst wird in der Mitteilung vielmehr ein Mit-Sein ausdrücklich, das als Mitbefindlichkeit und Mitverstehen ein Draußensein schon „ist“. Die Mitteilung des Ausdrucks vollzieht sich gewissermaßen über einem unausdrücklichen Einschnitt, in den sich das Mitdasein teilt. Diese Teilung bleibt in der Mitteilung zwar unausdrücklich, doch nur, weil ihre Nicht-Ausdrücklichkeit alles eröffnet, was sich mitteilen und ausdrücken ließe. Umso mehr kommt die Mitteilung auf diese Teilung aber unausgesetzt auch zurück, bewegt sie sich im unausdrücklichen Medium dieser Teilung, markiert sie das ungeteilte Mit-sein, indem sie es erst ausdrücklich teilt, wie Heidegger sagt. Anders gesagt: die Mitteilung ist Mitteilung als Wiederholung dieser Teilung selbst. Verspäteter Ursprung, differiert sie als verschobener, aufgeschobener Ursprung des geteilten Außen; nur so kann sie sich einem „Ergreifen“, wie Heidegger sagt, oder einer bestimmten Zueignung zukehren lassen. Diese Zueignung erst entspricht einer Zuteilung und damit einer Bewegung, die einer Ökonomie der Verteilung korrespondiert und dann ebenso alle Fragen einer An-Eignung aufwerfen wird.

Teilung, Mitteilung und Zueignung also. Kaum wird man in dieser Trias jedoch antreffen, was einen „vollen“ Begriff des Technischen oder eine in sich geschlossene Kategorie des Medialen zu formulieren erlauben wird. Wo téchno-lógoi eingreifen, da ersetzt ihr Spiel von Einschnitten vielmehr dem eigenen Gefüge, was ihm jeweils fehlt, um es Gefüge sein zu lassen. Das ungeteilte Außen markiert sich im Nachhinein ebenso als geteilt, wie sich das Eigene erst im Nachhinein als Zueignung konstituiert. „Ursprünglich“ wäre allein – hätte das denn einen Sinn – das sich beständig entziehende und verschiebende Spiel dieser Differenz ihres Nicht-Ursprungs selbst. Oder, wie Bernard Stiegler in seiner Studie über Technik und Zeit schreibt: „Die Gabe der Différance ist technologisch, weil das Individuum sich ausgehend von den Möglichkeiten des Man konstituiert: Der Beziehung der einen zu den anderen, die jedes Mal eine bestimmte technologische Modalität des Schon-da autorisiert.“ (2)

 

2. Mit-Da-Sein

Zunächst wird deshalb festzuhalten sein, dass es keine spezifischen Technologien gibt, die im Unterschied zu anderen das „Mediale“ erst einführen würden. Alle Technik ist in diesem Sinn bereits Teilung, Mitteilung und Zuteilung, medialer téchno-lógos, Differenztechnik. Aus ihr tauchen die einen wie die anderen – oder die einen als andere – auf, um eine Welt als geteilte in Erscheinung treten zu lassen. Medialität lässt sich deshalb auf eine Zirkulation von Mitteilungen, Bildern oder Tönen auch nicht reduzieren. Genauso wenig wird, was hier „Sprache“ genannt wird, auf einen alpha-phonetischen Code, auf ein Spiel von Signifikanten und Signifikaten verpflichtet werden können. Der allgemeinste Begriff des Technisch-Medialen ließe sich vielmehr als Spiel techno-logischer Einschnitte bestimmen, in die die einen wie die anderen sich teilen; weshalb sie sich aus dieser Zueignung „erst“ empfangen, um die Zueignung ins Eigenste zu kehren.

Und bestätigt dies nicht selbst noch der verschwiegene Einschnitt, der eine Existentialanalytik der Endlichkeit eröffnet? „Der Tod“, schreibt Heidegger, „ist eine Seinsmöglichkeit, die je das Dasein selbst zu übernehmen hat. Mit dem Tod steht sich das Dasein selbst in seinem eigensten Seinkönnen bevor. In dieser Möglichkeit geht es dem Dasein um sein In-der-Welt-sein schlechthin.“ (3) Was aber, so wäre zu fragen, zeigt sich im unscheinbaren Partikel des „Je“ an, sofern das Dasein seine eigenste Seinsmöglichkeit „je selbst zu übernehmen hat“? Hält dieses „Je“ nicht, wie in einer verschwiegenen Markierung, einen unvordenklichen Einschnitt, eine Teilung oder Differenz wenigstens kenntlich, die im präzisen Wortsinn bereits als techno-logisch oder „medial“ gedacht werden müsste? Im Sinn einer Teilung nämlich, die jede Möglichkeit von Mitteilung, Zuteilung, Zueignung und Übernahme des Eigensten erst eröffnet? Und wird dies nicht ebenso dazu nötigen, in Heideggers Eklat eines Seins-zum-Tode jene andere différance zu entziffern, die in den Techno-Logien des Medialen viel eher Fragen einer „Gabe“ virulent werden lässt wie auch in den Ekstasen der Zeit?

Hier nun kann, in der gebotenen Kürze, an die Meditationen lediglich erinnert werden, die Jean-Luc Nancy dem Mit-Sein und Mit-Da-Sein gewidmet hat. Was, so lautet seine Frage, nötigt Heidegger dazu, das Dasein zunächst wesenhaft als Mit-sein zu bestimmen, um es im weiteren Verlauf stillschweigend in Bezirke des „Man“ abzudrängen? Eine Bewegung, die sich ja zu wiederholen scheint, wo die Analyse von Sein und Zeit ebenso Teilung, Mitteilung und Zuteilung der Rede schrittweise ins Gerede übergehen lässt, d.h. in „die Seinsart des entwurzelten Daseinsverständnisses“, wie Heidegger sagt? (4) – So weit ich sehe, hat Nancy diese Frage bislang vor allem ontologisch, weniger techno-logisch und medial präzisiert, sieht man von einigen marginalen Anmerkungen und Hinweisen ab. Die Fragen jedoch, die das Mit-Sein und Mit-Da-Sein aufgeben, sind nicht nur geeignet, die Voraussetzungen einer Existentialanalytik zu erschüttern. Ebenso berühren sie Probleme der téchne und des Medialen, indem sie weniger nach einer Teilung des Ursprungs als nach der Teilung als Ursprung fragen. Diese Teilung müsste als téchne des „Mit“ gedacht werden: dem Da-Sein wesentlich zu sein, ohne ihm „eigentlich“ zu werden. Zumindest kann es bei Nancy über das „Mit“ des Daseins, über die Singularität an-derer simultaner Ursprünge heißen: „Sie ist nicht die Individualität, sie ist jedes Mal die Punktualität eines ‚Mit’, die einen gewissen Ursprung des Sinns verknüpft und die ihn mit der Unendlichkeit anderer möglicher Ursprünge verbindet. Sie ist also zugleich infra- bzw. intra-individuell und trans-individuell, und immer beides zusammen. Das Individuum ist ein Knotenpunkt von Singularitäten, die diskrete – diskontinuierliche und transitorische – Exposition ihrer Simultaneität.“ (5)

 

3. Zeitlichkeit

Der Begriff einer Simultaneität des Diskreten, Diskontinuierlichen und Transitorischen jedoch wirft Probleme auf. Offenbar betreffen sie Fragen der Technik ebenso wie die der Zeitlichkeit. Denn welche téchne, welcher Schlag oder welcher Einschnitt setzt diese Simultaneität ein? Wie wird sie sich getrennt haben, um das Geteilte als Simultaneität sich zukehren zu lassen? In welche Beziehungen also sind téchno-lógos und Zeit versetzt? Oder, genauer noch – weil dieser Einschnitt ja kein „erster“ im Sinn einer Einmaligkeit gewesen sein wird, der auf die Veranlassung eines „unbewegten Bewegers“ zurückzuführen ist: in welcher Weise wiederholt sich die Simultaneität der Singulären wie in einer techno-logischen Iteration, die anzukommen nicht aufhört?

Das „Je“ des „Je-Selbst“ jedenfalls – dieser techno-logische Einschnitt, den das Selbst nur vernarben lassen kann – unterbricht jeden Versuch, die Zeit privilegiert aus einer existenzialen Endlichkeit her zu verstehen. Das Mit-Da-Sein anderer bleibt skándalon, indem es einem existenzialen Verständnis entgeht, das sich im Eigensten würde gründen und entgründen wollen. Die différance erschöpft sich nicht darin, als Zerschellen der eigenen Endlichkeit zu differieren. Das simul des „Mit, des „Zugleich“ entzieht sich einem „vulgären“ nämlich ebenso wie einem „eigentlichen“ Begriff der Zeit. Weder zeugt das „Mit“ einfach vom Aufgehen in einer Alltäglichkeit, die von der Uhrzeit das technische Maß ihres „Jetzt“ empfinge, noch kehrt es sich in eine Singularität, die sich in Ekstasen des Daseins der Möglichkeit seiner Unmöglichkeit aussetzt. Beide Modi durchquert und unterbricht es als Wiederholung von Teilung und Mitteilung gleichermaßen. Das simul iteriert techno-logisch als Virtualität eines „Mit“, die den einen wie den anderen miteinander Zeit wie Raum gibt. So sehr die Zeit nämlich so etwas wie eine Gleichzeitigkeit mit sich impliziert, so sehr ist ein „Zeitpunkt“ ein und derselbe nur, indem er geteilter Zeitpunkt ist. Das simul ist nur zugleich, indem es zugleich mit... ist; indem es sich in einem Zusammen also ebenso verzeitlicht und verräumlicht. Darin schiebt sich jede Gleichzeitigkeit im simul auf; weshalb Nancy schreiben kann: „Die Simultaneität eröffnet unmittelbar den Raum als Verräumlichung der Zeit selbst.“ (6) Oder, wie Bernard Stiegler, von anderen Voraussetzungen her, erklären kann: „Die Zeit ist jedes Mal die Singularität einer Beziehung, die letzten Endes techno-logisch zustande kommt.“ (7)

Immer wird diese Singularität, ebenso intra-individuell wie trans-individuell, von téchno-lógoi durchquert sein, in denen diese Singularität sich zukehrt, indem sie anderen Singulären ausgesetzt ist. Techno-Logien markieren das Singuläre als Teilung, die jede Gleichzeitigkeit der Singulären auf Abstand zu sich hält, indem sie sich als Simultaneität zukehrt; denn eben darin wiederholt sie sich. Den Anfang eines „ersten Einschnitts“ gibt es im Zeichen dieser Öffnung also nur, indem er anzukommen nicht aufhört, weil er beides: die Unhintergehbarkeit der Endlichkeit wie das Darüber-Hinaus einer Unendlichkeit Endlicher iteriert. Das Technische wiederholt also nicht, was einmal gegeben wäre; es wiederholt sich selbst als Wiederho-lung des Simultanen, und das heißt: des Geteilten der Zeit, ihres Zersprungen-Seins. In nichts anderem erst „dauert“ die Öffnung der Zeit. Sollte die Rede vom „Virtuellen der Technik“ deshalb irgendeine Berechtigung haben, dann in diesem Sinn. Denn das Virtuelle insistiert nicht darin, eine faktische Wirklichkeit in vielen „virtuellen Wirklichkeiten“ zu vervielfachen, sie technisch zu „virtualisieren“ oder in Simulationen zu de-realisieren. Ebenso wenig wirkt es sich in einer Metaphysik des Einen darin aus, dessen Präsenz zu verdunkeln, abzuschatten und aufzuschieben: es lediglich als Phänomen zuzulassen, das vom technisch erzwungenen Rückzug eines ihm zugrundeliegenden „Wesens“ zeugen würde. Virtuell ist das Technische vielmehr, indem es aus Einschnitten hervorgehen lässt, was als Simultaneität der einen wie der anderen eintritt oder als Teilung der Welt in Wirklichkeit tritt. Virtuell, also zeitlich ist die Wiederholung als Iteration von Öffnungen und Offenheiten.

 

4. Medien

Medientechniken sind insofern „medial“ nicht erst, wo sie in einer bestimmten, „medial“ genannten Weise Verwendung oder Anwendung finden. Jedes virtuelle Gefüge technischer Einschnitte ist sich mitteilende Teilung schon darin: in sich, weil außer sich zu sein. Und deshalb erlaubt nichts, es auf phonetische, graphematische, pikturale oder akustische Übermittlungstechniken zu reduzieren. Medienwissenschaft verfehlt deshalb ihren Gegenstand, wo sie vergisst, im eigentlichen Sinn gar keinen „Gegenstand“ zu haben. Dieses Vergessen ist nicht einfach willkürlich. Es geht aus einem Begriff von Wissenschaft hervor, der sich zunächst seiner „Gegenstände“ zu versichern hat, um Wissen generieren zu können; wobei sich diese Operation auf ein Vergessen stützen kann oder aus ihm hervorgeht, in dessen Zeichen sich der téchno-lógos von sich selbst getrennt hat. Einerseits wird die Vergessenheit der téchne zur „Technik“ im Sinn eines „Mittels“, das idealen „Zwecken“ zu folgen hat. Andererseits wird der lógos zu einem Code, dessen Alphaphonetik prädestiniert sein soll, sich um die Präsenz der Idee als Selbstpräsenz ins Werk zu setzen.

Was immer sich derart ins Werk setzt, vollzieht sich insofern im Zeichen eines Vergessens des Technischen. Das „Mittel“ wird eingeführt, um den „Zweck“ in vollendeter Reinheit hervorzubringen. In ihr soll sich das „Mittel“ aufheben, ohne einen Rest zurückzulassen. Nicht anders soll die Technik des Signifikanten in der Selbstpräsenz eines Signifikats aufgehen, in der die Parusie des Einen aufscheint, ohne zu anderen Verkettungen herauszufordern, die den Spalt der Öffnung auf sich zurück-kommen ließen. Mit der Präsenz kommt also ein platonisches Kapital ins Spiel; wie Karl Marx, der Leser der Politeía, exzerpiert: "Wird etwas nur als Nebenwerk (parérgon) verrichtet, so wird oft der zu seiner Produktion entsprechende Zeitpunkt verpasst. Das Werk (érgon) kann nicht abwarten die Muße dessen, der es zu verrichten hat, sondern vielmehr muss der das Werk Verrichtende sich nach den Bedingungen seiner Produktion usw. richten, darf es daher nicht als Nebenwerk betreiben." (8) In diesem Sinn allerdings ist alle Techno-Logie parergonal. Einerseits tritt sie als „Mittel“ auf, das kalkulierten Zwecken unterstellt wird; andererseits als parérgon, als Beiwerk oder Nebenwerk, als ebenso beiherspielendes wie konstitutives Moment einer Rahmung, in der erst erscheinen kann, was erscheint, ohne deshalb Eigenes oder Eigentliches zu werden. Stets kehrt derart, was techno-logisch dazu verurteilt werden soll, als „Mittel“ bestimmten Zwecken zu unterliegen, als parérgon wieder: in Virtualitäten der Störung oder Unterbrechung, als Muße oder Anarchie unvorhersehbarer Wendungen.

Wenn der „Inhalt“ eines Mediums nämlich stets ein anderes ist, wie McLuhan notiert, dann im Sinn dieses parergonalen Spiels. Es entzieht sich jedem Phonozentrismus, um den sich dann – wie in den „Medienwissenschaften“ – bestimmte technische Medialitäten anordnen wie epistemische Gegenstände. Immerhin, auch McLuhans derber Pragmatismus ist über solche Grenzen hinaus, wenn er Straßen ebenso als „Medium“ fasst wie Transportsysteme, die Kleidung ebenso wie das Wohnen: den Verkehr auf einen semiotischer Zeichen also keineswegs reduziert. Und wie eine Ironie könnte erscheinen, dass sich die Metaphysik der Gleichzeitigkeit als einer Echtzeit im Computer vergegenständlicht, jener „allgemeinsten“ Medialität, die eine spezifische nicht kennt, weshalb sie „allgemeinste“ aber auch nicht ist. Zwar rahmt sie alle Medialitäten, alle Ökonomien der Produktion, alle Zirkulationen und Verwertungen, um das Simultane den Blitzkriegen der Gleichzeitigkeit einer Echtzeit zu unterwerfen. Technisch soll sich so das Phantasma der Präsenz realisieren. Der Preis indes ist deren Zerspringen ins Partikulare, die Entrahmung des Rahmens, die Fragmentarisierung der Fragmente, der Eklat der Zeit. Von hier aus allerdings wäre zu erwägen, was Bernard Stiegler andeutet: „Die Licht-Zeit ist die Epoche der Différance in Echtzeit. Sie ist zugleich ein Ausgang aus der differierten Zeit, die spezifisch für die Geschichte des Seins ist, die eine Verdunkelung der Différance und eine Bedrohung aller Differenzen fortzusetzen scheint – weswegen man vom Ende der Geschichte oder von einem Epochenwechsel sprechen kann.“ (9)

 

5. Teil-Gabe

Virtualitäten spielen techno-logisch in Teilungen, deren „Medialität“ in bestimmter Hinsicht „unanwendbar“ bleibt. Darin insistiert die „ontologische Differenz“ in aller und zu aller Ontologie des Technischen. Keineswegs ist die Welt nämlich „eine“; vielmehr ist sie, was sich in medialen Einschnitten erst „gibt“. Vielleicht ließe sich deshalb nicht so sehr von einer Teil-Nahme oder Teil-Habe sprechen; viel eher von einer Teil-Gabe vor aller Habe, vor allem Austausch, vor aller Ökonomie also: nach dieser Teil-Gabe will ich abschließend fragen.

Methéxis, Teilnahme oder Teilhabe, nennt Platon, was das Empirische im Reich der Ideen verankert, um es sein zu lassen, was es ist. Nahme und Habe eines platonischen Kapitals, das von Ewigkeit ist und sich jenen schon zugeteilt und mitgeteilt haben wird, die nach dem Guten und Wahren fragen können: nach dem Guten, indem es wahr, nach dem Wahren, indem es gut ist. Man weiß jedoch um die Vorbe-halte, mit denen Platon den téchnai und ihren Urhebern begegnete: den Handwerkern, den Künstlern, den Verfertigern der Worte, der Künste und Schriften. Stets scheint von ihnen die Gefahr auszugehen, zu unterbrechen und zu verwirren, was die Teilnahme und Teilhabe am Einen ermöglicht und ausmacht. Ein „Mehr“ ohne Maß, das sich nicht erstatten lässt, die Zirkulation deshalb nicht nur unterbricht, sondern als Unterbrechung des Einen selbst einfällt, indem es zirkuliert; Gabe einer Zeit, die sich techno-logisch einschneidet, ohne unter dem Gesetz des Zikulären als Einschnitt vermerkt zu werden. Es gibt Zeit, wie Heidegger notiert; Zeit, wenn es sie gibt, unterbricht Derrida die Fugenlosigkeit dieses „Es“, die Evidenz dieser Gabe.

Welches „Es“ nämlich? Und welche Techno-Logie eines Sich-Gebens? Unaufhörlich ankommend, ohne einzutreffen; durchgezogener, weil unterbrochener Bindestrich eines „Mit“, wie Nancy vermerkt: Singuläres, das deshalb nur gemeinsam mit... sein kann. Nicht also Zeit einer Ökonomie, einer Verteilung oder Produktion, eines Ursprungs oder einer originären Quelle, die sich auf einen einzigen Punkt zusammengezogen hätte. Zeit vielmehr, die sch in der Teilung als Teilung gibt, Teil-Gabe, deren Unvermerktheit sich im „Je“ des „Je Selbst“ oder in Techno-Logien der Mitteilung wie in Narben der Teilung vermerkt.

Insofern aber gilt, wie Nancy schreibt: „Das ‚Mit’ bleibt zwischen uns, und wir bleiben unter uns: nichts als wir, aber nichts als Abstand zwischen uns.“ (10)

 


 

(1) Martin Heidegger: Sein und Zeit, Niemeyer: Tübingen 1979, S.162.
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(2) Bernard Stiegler: Technik und Zeit. Der Fehler des Epimetheus, Zürich / Berlin: diaphanes 2009, S.308.
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(3) Martin Heidegger, ebd., S.250.
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(4) ebd., S.270.
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(5) Jean-Luc Nancy: singulär plural sein, Berlin: diaphanes 2004, S.133.
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(6) Jean-Luc Nancy, ebd., S.99.
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(7) Bernard Stiegler, ebd., S.308.
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(8) Karl Marx: Ökonomisches Manuskript 1861-1863, MEW 43, Berlin: Dietz 1990, S.277.
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(9) Bernard Stiegler, ebd., S.357.
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(10) Jean-Luc Nancy, ebd., S.101.
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